WAS IT A CAT I SAW

from 2017/01/07 until 2017/02/11

WAS IT A CAT I SAW
Klara Hobza, Bettina Gruber & Maria Vedder, Elodie Pong, Lucy Powell, Dana Sherwood,
SAGSI-group (Steffi Weismann, Antonia Baehr, Georg Klein, Sigrid Keil, Isabell Spengler)
 

Ausstellung 07. 01. bis 11. 02. 2017
Eröffnung am 06. 01. 2017, 19 Uhr  

english:  

WAS IT A CAT I SAW
Klara Hobza, Bettina Gruber & Maria Vedder, Elodie Pong, Lucy Powell, Dana Sherwood,
SAGSI-group (Steffi Weismann, Antonia Baehr, Georg Klein, Sigrid Keil, Isabell Spengler)
 

Duration: 2017, January 07 –  February 11
Opening: 2017, January 06, 7 pm

WAS IT A CAT I SAW

(english version below)

Klara Hobza
Nay, I’ll Have A Starling, the Plan
2006, 1:12 min

Nay, I’ll Have A Starling ist bislang Klara Hobzas größter Werkkomplex, der auf der folgenden Geschichte basiert: Im Jahr 1890 haben Eugene Schieffelin und die „Acclimation Society“ von Nordamerika entschieden, all die Vögel, die in Shakespeares Stücken genannt werden, von England in die USA zu bringen. Unter diesen Vögeln befanden sich unter anderem 60 europäische Stare (Sturnus vulgaris), da Shakespeare diese in Henry IV (1.Teil, 1. Akt, 3. Szene) erwähnt: „Nay, I’ll have a starling shall be taught to speak nothing but
Mortimer’…“
Die Vögel wurden damals im Central Park von New York City freigelassen und das erste Nest wurde kurz darauf auf dem Dach des American Museum of Natural History gefunden. Seitdem hat sich der europäische Star erfolgreich in ganz Nordamerika ausgebreitet, die heutige Population wird auf über 200 Millionen geschätzt und von vielen aufgrund seines Verhaltens als laut und aggressiv, und vor allem als invasive Vogelgattung betrachtet (weltweit gibt es nur ca. 300 Millionen Stare und die Populationen in Europa sind rückläufig). Als Europäerin fühlte sich Klara schuldig für die Probleme, die die europäischen Stare in den USA verursachen. Sie entschied daher, 60 Stare im Central Park zu fangen und diese zurück nach England zu bringen um sie dort im Buckingham Palace Park freizulassen.
Klara Hobza (geboren 1975 in Pilsen) lebt und arbeitet in Berlin. Hobzas Langzeitprojekte, die sie in Form von Performance, Video, Zeichnung, Fotografie und Objekten dokumentiert, bewegen sich oft an der Grenze des Möglichen und sind das Ergebnis selbstgestellter Aufgaben und Vorhaben. Die Künstlerin studierte an der Akademie der Künste bei Olaf Metzel, an der Columbia University in New York und an der Rogue Film School in Los Angeles. Zuletzt hatte sie Einzelausstellungen bei Syndhavn Station, Kopenhagen (2014), deupiece bei St. Clara, Basel und basis, Frankfurt am Main. Hobza wurde mit zahlreichen Stipendien und Preisen ausgezeichnet, u.a. Stiftung Kunstfonds (Germany, 2012), ars viva/BDI (Germany, 2010), DIVA (Denmark, 2009), NYFA (NY, 2007) und dem Sculpture Center Prize (NY, 2005).
___

Bettina Gruber & Maria Vedder
Catfish Tango
1986, 7 min
Musik: Bettina Gruber
Fernsehproduktion für ZDF/second german television

“Sehen Sie“, sagte Dr. Bermuder und setzte sich sein leeres Weinglas wie ein fesches Hütchen auf den Kopf, „es sind ja keineswegs die Dinge, die uns beunruhigen, sondern die Meinung, die wir über die Dinge haben“. In den Tiefen des blauen Meeres liegt die versunkene Stadt Atlantis, belebt von urzeitlichen Fischen, die an Zangen, Schneebesen und Kaffeelöffel erinnern. Und hier beginnt die Reise, verursacht von einer fischversessenen Katze, die zugleich das Bindeglied zwischen den Bewohnern des Meeres und den fliegendes Seltsamkeiten des weiten Alls darstellt.
Die beiden Künstlerinnen Bettina Gruber und Maria Vedder gaben 1982 das „DuMont Handbuch der Videopraxis“ heraus. Ein Jahr später folgte ihr Buch „Kunst und Video“, das eine erste grundlegende Zusammenfassung aktueller Videokunst aufweist.
___

Elodie Pong
I am a bomb / Je suis une Bombe
2006, 6:12 min

Eine Figur in einem Pandabärkostüm tanzt erotisch an einer Stange. Beim Ablegen des Bärenkopfes kommt eine Frau zum Vorschein und wendet sich zur Kamera, um ihr eigenes komplexes Bild einer Frau zu zeigen: stark und verwundbar zugleich – ein potentielles Pulverfass.
Die Schweizer Künstlerin Elodie Pong (geboren in den USA) is bekannt für ihre subtile, analytische Arbeiten, die meist in multimedialen Installationen präsentiert werden (Video, Installation, Interviews, Performance und Film). In ihren Arbeiten legt sie den Fokus auf Zwischenmenschliche Beziehungen, kulturelle Codes und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft.
Ihre Video werden weltweit  in Ausstellungen und Screenings gezeigt, zuletzt in Whitechapel Gallery, London, Kunsthaus Zurich, ZKM Center for Art and Media, Karlsruhe, fundacion PROA, Buenos Aires, Para/Site, Hong Kong, Tokyo Wonder Site Shibuya*, Kunstmuseum Solothurn*, Occurence Centre d’art et d’essai contemporains, Montreal*, Lokal 30 , Warsaw and London*, The Kitchen, NY*, Centre Dürrenmatt Neuchâtel*, DBA Christian Haye / The Project, NY*, Ballroom Marfa, Texas, GAMec Galleria d‘Arte Moderna, Bergamo, Le Fresnoy Studio national des arts contemporains, Tourcoing, Mothers Tankstation, Dublin*, Kunstsammlung Jena / DE *, Helmhaus Zürich / CH *. (* solo exhibition)
___

Lucy Powell
Impossible Line
2009, Super 8, loop, 3 min

In Impossible Line wird ein Huhn durch eine Kreidelinie, die an seinem Schnabel beginnend auf den Boden gezeichnet wird, hypnotisiert. Nach einigen Minuten erwacht der Vogel aus der Trance und fliegt unbeschadet davon. Der Film erinnert, auf Super 8 aufgenommen, an frühe Lehrfilme. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, ein Huhn zu hypnotisieren. In der Ethnologie wird der Zustand der Hypnose als „nervenstärkende Unbeweglichkeit“ (ein natürlicher Zustand einer Halb-Paralyse) bezeichnet. Es wird vermutet, dass es sich hierbei um einen Verteidigungsmechanismus handelt, bei dem es um Vortäuschung von Tod bei Gefahr geht.
Mich faszinierte hierbei vor allem die Idee, dass das Ziehen einer geraden Linie so bedrohlich auf ein Lebewesen wirken kann,  dass es dadurch in Trance versetzt wird. Vielleicht handelt es sich auch um die Vorstellung, dass eine Welt in zwei geteilt wird. Was in Wahrheit im Geist des Huhns vor sich geht, bleibt genauso mysteriös und ungeklärt.
___

SAGSI-group (Steffi Weismann, Antonia Baehr, Georg Klein, Sigrid Keil, Isabell Spengler)
Inside the Tiger
2014, Video, Farbe, Ton, 14 min

Das Tasmanian Tiger Immersive Self-Therapy Program (TTIST) bietet Teilnehmern die Möglichkeit, in das Kostüm und und die Erlebniswelt eines tasmanischen Tigers zu schlüpfen (der tasmanische Tiger ist seit 1936 ausgestorben). Das Video dokumentiert die Erfahrungen und das Verhalten von vier Teilnehmern während ihrer Verhaltenstherapie-Sitzungen.
___

Dana Sherwood
Feral Nights Florida (possums)
2016, 7 min

In ihren Arbeiten untersucht die 1977 in New York geborene Künstlerin Dana Sherwood vorherrschende Vorstellungen von Begehren und Melancholie, die sie an der Schnittstelle zwischen Kultur und Natur vorfindet. Neben der Verwendung von organischer Materie und aufwendig hergestellten Konditorwaren bezieht Sherwood oft auch Tiere in ihre Arbeiten mit ein. In dem gezeigten Video Feral Nights Florida (possums) dokumentiert die Künstlerin mit einer Nachtsichtkamera Waldtiere, die das von Sherwood festlich angerichtete Nachtmahl im Wald verspeisen.

Seit dem Abschluss ihres Studiums (BFA) an der University of Maine 2004 hat Sherwood vielfach in Nordamerika und Europa ausgestellt, in New York u.a. in der Galerie Marianne Boesky Gallery (2012), in der Mixed Greens Gallery (2012), im Socrates Sculpture Park (2009), der Flux Factory (2010) und der Biennial of Western NY (2010). Sie war 2011 auf der Biennale Prospect 2 New Orleans vertreten und hat vor kurzem für die Nuit Blanche der Scotia Bank in Toronto eine neue Arbeit produziert. 2015 hatte Sherwood ihre erste Einzelausstellung in Europa, in der Reisebürogalerie der Galerie Nagel-Draxler, Köln.

english version:

Klara Hobza
Nay, I’ll Have A Starling, the Plan
2006, 1:12 min

Nay, I’ll Have A Starling  is so far Klara Hobza’s most extensive body of work. In progress since 2005, it’s based on the following story: In 1890, Eugene Schieffelin and the Acclimation Society of North America decided to bring all the birds mentioned in Shakespeare’s plays to the USA from Britain. Among them were 60 European Starlings (Sturnus vulgaris), because Shakespeare had mentioned them in Henry IV: „Nay, I’ll have a starling shall be taught to speak nothing but Mortimer’…“ (Part I, Act 1, Scene 3).
The birds were released in New York City’s Central Park, and their first nest was found on the roof of the American Museum of Natural History. Since then, the European Starling has spread very successfully in North America, and today we count over 200 million. Note that there are only 300 million starlings worldwide, and in Europe their population is on the decline. Many regard the European Starlings as pests for destroying crops and stealing native species‘ nesting cavities. They are colonial breeders that are considered aggressive and noisy–an invasive species.
In her role, as a European, Klara feels guilty about the trouble the European Starlings are causing. She decided to capture 60 Starlings in Central Park, send them back to England, and release them in Buckingham Palace Park.

Klara Hobza, born 1975 in Pilsen, Czech Republic, works and lives in Berlin. Hobza’s artistic practice revolves around performance, video, drawing and sculpture. Her pieces are conceptually held together by narrations of self-imposed and large scale endeavors.
Hobza studied at Munich Academy of Fine Arts under Olaf Metzel, MFA at Columbia University, New York and at Rogue Film School,
Los Angeles. Her recent solo exhibitions include Diving Through Europe at Syndhavn Station, Copenhagen (2014), Die große Basler Gipfelbargung at deupiece bei St. Clara, Basel, and On Display at basis, Frankfurt am Main. Hobza has been awarded with grants and fellowships from Stiftung Kunstfonds (Germany, 2012), ars viva/BDI (Germany, 2010), DIVA (Denmark, 2009), NYFA (NY, 2007) and the SculptureCenter Prize (NY, 2005), et al.
___

Bettina Gruber & Maria Vedder
Catfish Tango
1986, 7 min
Musik: Bettina Gruber
Fernsehproduktion für ZDF/second german television

In the depths of the blue ocean lies the sunken city of Atlantis, inhabited by ancient fish that resemble pliers, whisks and coffee spoons. And here begins the journey caused by a fish obsessed cat, which at the time is the connection between the ocean dwelling creatures and the flying absurdities of the vast outer space.

The artists Bettina Gruber and Maria Vedder started to collaborate with videoworks in 1978. In 1982, as video artists of the „2nd generation“, they published DuMont Handbuch der Videopraxis. A year later, in 1983, they published the book Kunst und Video, which was the first quintessential compendium of contemporary video art at the time.

___

Elodie Pong
I am a bomb / Je suis une Bombe
2006, 6:12 min

A figure in a panda bear costume performs an erotic pole dance. On removing the panda’s head, a woman appears and steps up to
the camera to deliver her own praises of a complex image of woman, simultaneously strong and vulnerable, a potential powder keg.

US born, Swiss artist Elodie Pong is known for her subtle, analytic work, which is often built in multidisciplinary ensembles of pieces including video, installation, interviews, performance and film. Her projects focus on human relationships, cultural codes and their impacts on contemporary society.
Pongs videos have been included in exhibitions & screenings worldwide, and have notably been presented at Whitechapel Gallery, London, Kunsthaus Zurich, ZKM Center for Art and Media, Karlsruhe, fundacion PROA, Buenos Aires, Para/Site, Hong Kong, Tokyo Wonder Site Shibuya*, Kunstmuseum Solothurn*, Occurence Centre d’art et d’essai contemporains, Montreal*, Lokal 30 , Warsaw
and London*, The Kitchen, NY*, Centre Dürrenmatt Neuchâtel*, DBA Christian Haye / The Project, NY*, Ballroom Marfa, Texas, GAMec Galleria d‘Arte Moderna, Bergamo, Le Fresnoy Studio national des arts contemporains, Tourcoing, Mothers Tankstation, Dublin*, Kunstsammlung Jena / DE *, Helmhaus Zürich / CH * (* solo exhibition)
___

Lucy Powell
Impossible Line
2009, Super 8, loop, 3 min

In Impossible Line a chicken is hypnotized by drawing a chalk line away from its beak. After a few minutes the bird awakes from the trance and flies off, unharmed. Filmed in Super 8, the film has an educational film aesthetic. There are many ways to hypnotize a chicken, a state that is referred to by ethnologists as ‚tonic immobility’–- a natural state of semi – paralysis that may be a defence mechanism to feign death in the face of threat. What appealed to me was the idea of the straight line being something so confounding it could send a creature into a trance, or perhaps the ideaof having one’s world divided in two. What is actually going on in the chicken’s mind is something just as mysterious.
Lucy Powell is based in Berlin and has an interdisciplinary practice that intersects science and dreams, nature and culture, meaning
and absurdity. She studied Fine Art at Liverpool John Moores University. Recent exhibitions/screenings include „Screening Nature“ Whitechapel Art Gallery, „Amateurism“ Kunstverein Heidelberg, „The Worldly House Archive, „Documenta 13, „Jäger und Gejagte“ Museum Villa Rot, „The Animal Gaze“ London Metropolitan University, „Animal Kingdom“, Schinkel Pavilion Berlin, „Tier und Film“, Oberhausen Kurzfilmtage, „Derridas Katze“ Kunstamt Kreuzberg. She has recently had residencies at the Sirius Arts Centre, Cork, L’Entreprise Culturelle, Paris and Künstlerdorf Schöppingen and is a co-founder of the Satellite Salon for art-science conversations
___

SAGSI-group (Steffi Weismann, Antonia Baehr, Georg Klein, Sigrid Keil, Isabell Spengler)
Inside the Tiger
2014, Video, Farbe, Ton, 14 min

The Tasmanian Tiger Immersive Self-Therapy Program (TTIST) offers participants the possibility to slip into a costume and experience being a Tasmanian Tiger (extinct since 1936). The video features four statements by participants of the program alongside a documentation of their behavior during the experience.
___

Dana Sherwood
Feral Nights Florida (possums)
2016, 7 min

Dana Sherwood (born 1977, New York) is a New York based artist whose work lies in the boundary-lines of the domestic and the wild, and interrogates the semiotics of desire and melancholia present at the intersection of the two worlds. The complexity of interpretation lies in the use of non-traditional materials and unconventional methodologies, which can sometimes involve organic materials and elaborate confectionery as well as interventions by animals.

Since receiving a BFA from the University of Maine in 2004 Sherwood has exhibited her work in New York at Marianne Boesky Gallery (2012), as well as Mixed Greens Gallery (2012), Socrates Sculpture Park (2009), Flux Factory (2010), the Biennial of Western NY (2010) and Prospect 2 New Orleans (2011).  She recently created a new piece for Scotia Bank Nuit Blanche in Toronto, and has shown in venues throughout Europe. In 2015 Sherwood will have her inaugural European solo show at Galerie Nagel-Draxler Reiseburogalerie.
___

Text: Heike Fuhlbrügge

Vorwärts und rückwärts lesbar ist das berühmte Palindrom der Ausstellung WAS IT A CAT I SAW. Es ist ein Zitat aus Lewis Carroll‘s Alice’s Adventures in Wonderland und spielt darauf an, dass die sechs präsentierten Videoarbeiten von Klara Hobza, Elodie Pong, Lucy Powell, Dana Sherwood, der SAGSI-group (Steffi Weismann, Antonia Baehr, Georg Klein, Sigrid Keil, Isabell Spengler) sowie von Bettina Gruber & Maria Vedder gleichermaßen verwirrend und vielseitig verstehbar sind, wie es Alice in der berühmten Novelle ebenso am Beispiel der sichtbaren wie nichtsichtbaren Grinsekatze beschrieben hat. Eine Idee, die auch formal eingehalten ist, da die Filme gleichzeitig sowohl innerhalb als auch außerhalb der Räume von SCOTTY zu sehen sind. Die Themen der von Simone Häckel, Annette Sonnewend und Juliane Zelwies ausgewählten Arbeiten kreisen um Auseinandersetzung der Mensch/Tier Relation, – im Verständnis der Human-Animal-Studies, der menschlichen und nicht-menschlichen Tiere -, um Bereiche wie das Unbewusste, Begehren, Moral und Irrationalität, also um Themen, die gesellschaftlich konstruierte Ideen von Kultur wie Natur widerspiegeln.

Die Frage nach dem Tier bzw. nach dem Mensch-Tier-Verhältnissen stellt eine der grundlegendsten ethisch-politischen wie philosophischen Fragen unserer Zeit dar. Giorgio Agamben hatte dies in seiner vielbesprochenen Schrift Das Offene. Der Mensch und das Tier (2002) eindrücklich diskutiert. Auch im Poststrukturalismus von Jaques Derridas ist der Mensch/Tier-Dualismus die alles entscheidende Frage und als zentraler Kritikpunkt seines Werkes zu verstehen, da „alle Philosophen der Ansicht waren, dass die Grenze einzig und unteilbar sei; und dass es auf der anderen Seite dieser Grenze eine riesige Gruppe gebe, eine einzige, (..), der gegenüber man das theoretische und philosophische Recht auf Unterscheidung oder Entgegensetzung hätte, nämlich die des Tiers im Allgemeinen, des Tiers im allgemeinen Singular. Das ganze Tierreich mit Ausnahme des Menschen.“
Die Unterordnung aller nichtmenschlichen Individuen unter den Tierbegriff und den damit verbundenen Dualismus, der „Tiere“ in der Rolle des „ganz Anderen“ festschreibt, klagt Derrida (2010) als „ein erstes Verbrechen gegen die Tiere“ an. Eine besondere Rolle in dieser Distanzierung spielt der Logos und dessen Begriffsgeschichte.
Die kritische Auseinandersetzung mit der Rolle des Tieres, das als logozentrische Abgrenzungsfolie dient, hilft dabei aufzuzeigen, dass das nichtmenschliche Tier zum „ganz Anderen“ gemacht wird. Neueste Ansätze wie der von Donna Haraway arbeiten mit der Idee der „companion species“, die besagt, das im Kontakt zwischen Mensch und Tier ein Miteinander-Werden möglich ist. Haraway beschreibt das in ihrem Text When Species Meet: „To knot companion and species together in encounter, in regard and respect, is to enter the world of becoming with, where who and what are is precisely what is at stake (2008).“
Nach den Identitätsbestimmungen des Menschen in den jüngsten Diskursen der Human-Animal-Studies ist das Tier heute noch eines der wichtigsten Themen und Motive unserer Kulturpraktik. Die jüngste Veröffentlichung der Philosophin Lori Gruen Entangled Empathy (2016) setzt sich dezidiert mit dem aktiven Verwobensein von Tier und Mensch auseinander.
Als zentrale Annahme existiert bereits seit dem Mittelalter die Vorstellung der Tier/Mensch-Beziehung als Verwandlung und Einverleibung. Unter dem Namen Ovid Moralisé wurde beispielsweise Ovids Metamorphosen im Mittelalter adaptiert. In dieser Zeit war die Metamorphose noch ein kritisches theologisches Problem, die die Frage nach der hierarchischen Ordnung der göttlichen Schöpfung in Frage stellte. Gott hat den Menschen nach seinem Ebenbild geschaffen. Wie soll dann der Mensch in ein Tier mutieren können? Nach Augustin, nur durch das perfide Spiel der Dämonen.
In der zeitgenössischen Kunst existiert dieses Motiv der Anverwandlung in ein Tier, wie es die Videoarbeit der SAGSI-group Inside the Tiger (2014) darstellt. Sie zeigt Therapieansätze des Tasmanian Tiger Immersive Self-Theray Program (TTIST). Dieses ermöglicht es Teilnehmern, in das Kostüm und die Erlebniswelt eines seit 1936 ausgestorbenen tasmanischen Tigers zu schlüpfen. Das Video dokumentiert die Erfahrungen und das Verhalten von vier Teilnehmern während ihrer Therapiesitzung.
Der Symbolwert erscheint aufgelöst in postmoderne Tiergestalten und ironischen Metaphern. Er bleibt oftmals Ausdruck besonderer Kräfte oder Unkultiviertheit, die als Residuum einer vita activa zu verstehen ist. Elodie Pong spielt in ihrer Videoarbeit I am a bomb / Je suis une Bombe (2006) darauf an, indem sie im Kostüm eines Pandabären einen lasziven Poledance an der Stange aufführt. Dieser ist gleichermaßen absurd wie verstörend, zudem sich die Künstlerin nach dem Tanz die Tiermaske auszieht und einen Text aufsagt, in dem sie u.a. den Satz „Je suis une bombe“ immer wieder rezitiert.
Der britische Autor Brian Luke konstatiert in seiner Untersuchung Zahm sein oder wild werden?, dass in der Verwandlung in ein Tier neue Möglichkeiten lägen „wild zu sein“. Die Opposition zur Unperson oder nicht der Gesellschaft zugehörig zu sein scheint damit überwunden, da nun ‚Tiersein’ einen Zustand markiere, in dem sich Menschen als wilde  oder niedliche Tiere geben können. Die Grenzen des Menschlichen und Tierischen zu erfahren bleibt dabei stets von größtem Interesse, wie auch die amerikanische Künstlerin Dana Sherwood in ihrer Filmarbeit Feral Nights Florida (2016) zeigt. Sie setzt sich mit den Gegensätzen von Kultur und Natur auseinander, indem sie der nächtlichen Tierwelt von Florida ein auf einem mit Stuhl, Tisch und Tischdecke selbstzubereitetes Mal serviert und dabei filmt, wie es das überaus kultiviert präsentierte Nachtessen auffrisst. Klara Hobza geht in ihrem Video Nay, I’ll Have A Starling – The Plan (2007), sogar soweit, unsere Kulturtechniken korrigieren zu wollen. Die Arbeit aus ihrem bislang größten Werkkomplex, basiert auf der Geschichte, in der im Jahr 1890 Eugene Schieffelin und die Acclimation Society von Nordamerika entschieden haben, alle Vögel, die in Shakespeares Stücken genannt werden, von England in die USA zu bringen. Unter diesen Vögeln befanden sich unter anderem 60 europäische Stare (Sturnus vulgaris), da Shakespeare diese in Henry IV (1.Teil, 1. Akt, 3. Szene) erwähnt. Die Vögel wurden damals im Central Park von New York City freigelassen und das erste Nest wurde kurz darauf auf dem Dach des American Museum of Natural History gefunden. Seitdem hat sich der europäische Star erfolgreich in ganz Nordamerika ausgebreitet, die heutige Population wird auf über 200 Millionen geschätzt und von vielen aufgrund seines Verhaltens als laut und aggressiv, und vor allem als invasive Vogelgattung betrachtet (weltweit gibt es nur ca. 300 Mio Stare und die Populationen in Europa sind rückläufig). Als Europäerin fühlte sich Klara Hobza schuldig für die Probleme, die die europäischen Stare in den USA verursachen. Sie entschied daher, 60 Stare im Central Park zu fangen und diese zurück nach England zu bringen um sie dort im Buckingham Palace Park freizulassen.
Stets reflektiert sich der Mensch in diesen Arbeiten, in seiner Opposition zum Tier oder dem ‚anderen’ Teil von ihm oder seinem Umgang mit ihm. Diese andere Seite wurde seit je her in verschiedene Segmente eingeteilt: Das sexuelle Tier in Gestalt von Ledas Schwan oder von King Kong, vom Schoßhündchen bis zur bedrohlichen Attraktivität des Freudschen Traum-Pferdes. Das sexuell konnotierte Tier bietet uns die Möglichkeit, versteckt über unsere Lust und Begehren zu reden. Im wilden Tier behandeln wir die Probleme, Verlockungen und Drohungen der ungezähmten Natur: von den Stieren der Antike, über Ibsens Wildente bis zu den Raubkatzen. Dieses Wilde Tier erscheint – vor allem in der Aufklärung –, als eine durch menschlich-kultivierende Leistung zu Verwandelndes, als Metapher für unerzogene Vernunft. Es fungiert zudem als idealisiertes Gegenbild einer allzu durchorganisierten Welt, als Residuum von Wildheit und Vitalität. So stemmt sich auch die frühe Arbeit von Bettina Gruber & Maria Vedder Catfish Tango von 1986 gegen jedes Weltbild der Logik. In ihrer künstlerischen Koproduktion zeigen sie die in den ‚Tiefen‘ des blauen Meeres versunkene, mythische Stadt Atlantis, belebt von grotesken, urzeitlich anmutenden Fischen, die an Zangen, Schneebesen und Kaffeelöffel erinnern. Eine fischversessene Katze ist einziges Bindeglied zwischen den ‚Bewohnern‘ des Meeres und den fliegenden Seltsamkeiten des weiten Alls dieses künstlichen Kosmos. Mit Verborgenem und Unbewusstem setzt sich in ganz anderer Weise die Arbeit von Lucy Powell Impossible Line (2009) auseinander. Überraschenderweise am Beispiel eines Huhns, das als ‚natürliche‘ Überlebensstrategie, unerklärlicherweise in einen hypnotischen Zustand verfallen kann, indem man eine Kreidelinie von seinem Schnabel aus über den Boden zieht.

So werden in den unterschiedlichen Arbeiten der Ausstellung vielfältige kulturelle, soziale und historische Manifestationen und Praktiken hinterfragt, die ebenso emphatisch wie verstörend skurril, die Begegnung zwischen Mensch und Tieren aufzeigen.

picture: Videostill: Dana Sherwood’s Feral Nights Florida (possums)
© Dana Sherwood