At the Border – Materialsammlung zur bulgarisch-türkischen Grenze

Ruken Aslan, Border Line Pattern, 2021, drawing

At the Border
Materialsammlung zur bulgarisch-türkischen Grenze
Ruken Aslan, Ayşe Tülay, Janis Schroeder
Kuratiert von Sigrun Drapatz

Eröffnung: 24.02.2023, 19:00 Uhr
Ausstellung: 25.02.-25.03.2023
Künstler*innengespräch: 25.02.2023, 17.00 – 18.30 Uhr


English:

At the Border
A collection of materials related to the Bulgarian-Turkish border
Ruken Aslan, Ayşe Tülay, Janis Schroeder

Opening: 2023, February 24, 7 pm
Exhibition: 25.02. – 25.03.2023
Artist Talk: February 25, 2023, 5 – 6.30 pm

 

 

(English version below)

Südosteuropa ist ein multiethnischer Lebensraum in dem Menschen mit diversen Sprachen und Religionen leben. Ethnische Zugehörigkeit war über Jahrhunderte kein wesentlicher Unterscheidungsfaktor. Das änderte sich durch die Einflussnahme europäischer Großmächte ab Mitte des 19. Jahrhunderts. Diese stellten das Konzept der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe dem bis dahin geltendem Konzept der Zugehörigkeit zu einer Religion entgegen. Das neue Identitätskonzept verbreitete sich schnell in der Region. Es kam zu Aufständen gegen die osmanische Herrschaft, aber auch zu Hegemonialansprüchen gegenüber anderen Bevölkerungsgruppen. Eine blutige Spur von Massakern, Flucht, Vertreibung durchzieht seit dem Südosteuropa, die in kleinteilige, möglichst homogene Nationalstaatlichkeit mündete.
Nach dem Ende des 1. Weltkrieges manifestierte sich diese Politik in Bevölkerungsaustauschen und Zwangsumsiedlungen. Mit der Neuordnung Europas nach dem 2. Weltkrieg war Bulgarien politisch mit der Sowjetunion verbunden, die Türkei gehörte dem Westlichen Bündnis an.
Ab 1980 setzte in Bulgarien eine verschärfte Restriktionspolitik gegen Muslim*innen ein, gepaart mit einer „Bulgarisierungskampagne“ in deren Folge  zwischen 1984 und 1989 etwa 800.000 muslimische Namen zwangsweise „bulgarisiert“ wurden. Der heftige Wiederstand der Betroffenen veranlasste 1989 die bulgarische Regierung die Grenze zur Türkei zu öffnen, über 350.000 Menschen verließen Bulgarien in Richtung Türkei.

Ruken Aslan Zeichnungen sind ein dichtes Gewebe aus Linien, Bildfragmenten und Textschnippseln. Die Collagen aus mythologischen Narrativen und Schlagwörtern aus Zeitungen ergeben ein assoziatives, vielschichtiges Bild. Ihre erzählerische Bildsprache kombiniert die Ästhetik der Grafik des Art Deko mit zeitgenössischem Comic.
In der Ausstellung zu sehen ist die Serie „Borderline Patterns“. Darin setzt sich die Künstlerin mit der Grenzregion auseinander, in der ihr Wohnort liegt. Es werden romantische Vorstellungen von „Unterwegssein“, „Heimkehr“, „ein anderes Leben“, „der große Westen“ aufgerufen, aber auch die Themen Flucht und Zwangsumsiedlung.

Janis Schroeder erforscht in künstlerischer Praxis Landschaften und Lebensräume.  In seiner Recherche- und Archivarbeit sucht er nach Geschichten, historischen Dokumenten und Bildern, die er seinen Foto- und Video-Aufnahmen und intuitiven Zeichnungen gegenüberstellt.
Während zweier Reisen und mittels Recherchen in Archiven in Bulgarien, der Türkei und Deutschland setzte sich Janis Schroeder mit der bulgarisch-türkischen Grenzlandschaft auseinander. Für die Ausstellung erstellte er eine Collage aus gefundenem und selbst erstelltem Bild-, Text- und Tonmaterial. Sie ist eine persönliche Geographie der Region, mit der er auch seine eigene Perspektive und Privilegien hinterfragt.

Ayşe Tülay arbeitet häufig mit Objekten und Artefakten, die Geschichten transportieren.
In der Zwei-Kanalvideoarbeit „Boundary” sehen wir ein junges Mädchen in einem traditionellen bulgarischen Hemd in einem Park. Das Hemd entstammt dem  Familienbesitz der Künstlerin. Es ist ein Geschenk ihrer Schwiegermutter und war im Gepäck, als die Familie 1989 aus Bulgarien vertrieben wurde. Die Arbeit ist 2022/23 entstanden, als die Künstlerin in Sofia die bulgarische Staatsbürgerschaft für ihre Kinder beantragte.

Begleitprogamm: Künstler*innengespräch am 25.02.2023, 17.00 – 18.30 Uhr
Filmscreening und Künstler*innengespräch mit Birgit Auf der Lauer, Caspar Pauli und Janis Schroeder, moderiert von Juliane Zelwies.

Während eines Istanbulstipendiums entstand die Videoarbeit „Good Smugglers / Bad Escape Helpers – Gute Schleuser / Schlechte Fluchthelfer“ von Birgit Auf der Lauer und Caspar Pauli. Diese Arbeit zum Ausgangspunkt nehmend wird das Gespräch die Arbeiten der Künstler*innen in den Blick nehmen, die sich mit Regionen auseinandersetzen, in denen die einen die Grenzen problemlos in alle Richtungen passieren können, während die anderen die Passage, oft im Geheimen, teuer erkaufen müssen.

English:

Southeastern Europe is a multiethnic region inhabited by people with diverse languages and religions. Ethnic affiliation has not been a significant distinguishing factor for centuries. This changed as a result of the influence of major European powers from the middle of the 19th century. These powers contrasted the concept of belonging to an ethnic group with the concept of belonging to a religion, which had been valid until then. The new concept of identity quickly spread throughout the region. There were uprisings against Ottoman rule, but also hegemonic claims against other population groups. Since then, a bloody trail of massacres, flight and expulsion has crisscrossed southeastern Europe, resulting in small-scale, as homogeneous as possible nation-states.
After the end of the 1st World War, this policy manifested itself in population exchanges and forced resettlements. With the reorganization of Europe after World War II, Bulgaria was politically linked to the Soviet Union, and Turkey belonged to the Western Alliance.
From 1980 onwards, Bulgaria began an intensified policy of restrictions against Muslims, coupled with a „Bulgarianization campaign“, as a result of which some 800,000 Muslim names were forcibly „Bulgarianized“ between 1984 and 1989. The fierce resistance of the people concerned caused the Bulgarian government to open the border with Turkey in 1989, and over 350,000 people left Bulgaria for Turkey.

Ruken Aslan’s drawings are a dense web of lines, image fragments and text snippets. The collages of mythological narratives and newspaper catch phrases create an associative, multi-layered picture. Her narrative imagery combines the aesthetics of Art Deco graphics with contemporary comics.
The series „Borderline Patterns“ is shown in the exhibition. In it, the artist deals with the border region she lives in. Romantic ideas of „being on the road“, „homecoming“, „another life“, „The Great West“ are invoked, as well as the topics of flight and forced resettlement.

Janis Schroeder artistically explores landscapes and habitats.  In his research and archival work, he searches for stories, historical documents and images, which he juxtaposes with his own photographs, video recordings and intuitive drawings.
During two trips to the region and by researching archives in Bulgaria, Turkey and Germany, Janis Schroeder explored the Bulgarian-Turkish border landscape. For the exhibition he created a collage of found and self-created images, texts and sound material. It is a personal geography of the region, which also critically examines his own perspective and privileges.

Ayşe Tülay often works with objects and artifacts that convey stories. In the two channel video work „Boundary“ we see a young girl wearing a traditional Bulgarian shirt in a park. The shirt is an heirloom of the artist’s family. It was a gift from her mother-in-law who brought it with her when the family was expelled from Bulgaria in 1989. The work was created in 2022/23, while the artist went to Sofia to apply for Bulgarian citizenship for her children.

Accompanying program: Artist talk, February 25, 2023, 5 – 6.30 pm
Film screening and artist talk with Birgit Auf der Lauer, Caspar Pauli and Janis Schroeder, moderated by Juliane Zelwies.

During an Istanbul scholarship, Birgit Auf der Lauer and Caspar Pauli created the video  „Good Smugglers / Bad Escape Helpers – Gute Schleuser / Schlechte Fluchthelfer“. 

“AT THE BORDER”: Three Different Artistic Ways of Mapping a Border, text (English) by Şehnaz Layıkel Prange -> click HERE

Fotos: Sigrun Drapatz