Freedom’s just…

©Clemens Wilhelm, When You Change the Way You Look at Things, the Things You Look at Change (Video, 2017)

Freedom’s just…
Videokunstausstellung

Ausstellungsdauer: 14.01. – 19.02.2022
Eröffnung: 13.01.2021, 17 – 21 Uhr

English:

Freedom’s just…
Video art exhibition

Exhibition: 14.01. – 19.02.2022
Soft opening: 2022, January 13, 5 – 9 pm

 

English version below:

Die Ausstellung Freedom’s just … zeigt ausgewählte Videoarbeiten von 9 Künstler*innen bzw. Künstlergruppen als Installationen im Raum

Ausstellende Künstler*Innen:
Anna Fiedler & Lilli Kuschel, Niklas Goldbach, Anne Haaning, Thomas Hawranke, Katrin Leitner & Walter Peter, NEOZOON, Sarah Oh-Mock, Franz Reimer und Clemens Wilhelm

Freedom’s just…

Wie sieht Freiheit für Dich aus?
Mit dem Begriff der Freiheit verbinden sich ganz unterschiedliche Vorstellungen, abhängig von individuellen Personen, ihrer Herkunft, von Gesellschaftsformen und Kulturkreisen. Der Liberalismus der westlichen Demokratien verheißt ein freies Leben; wenn wir die Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten in unseren Gesellschaften betrachten, gilt dieses hehre Prinzip jedoch nicht für alle gleich: Aussehen, Geschlecht, Besitz und Bildung bestimmen das Maß an Selbstbestimmung und persönlicher Freiheit.

Kein Land hat diese Maxime mehr verinnerlicht als die U.S.A., die heute noch den “American Dream“ zitieren. So ist es nicht verwunderlich, daß gleich mehrere der neun ausgewählten Videoarbeiten der Ausstellung Freedom’s just… dort verortet sind. Das Versprechen der unbegrenzten Möglichkeiten im amerikanischen Westen lockte noch in den 1960er Jahren Menschen in die unwirsche Mojave-Wüste, auf deren Boden California City gegründet wurde – die drittgrößte Stadt Kaliforniens, flächenmäßig. Von der Vision übrig geblieben ist vor allem ein unermessliches Straßenraster in der Wüstenlandschaft, das Niklas Goldbach mittels Dronenaufnahmen eindrucksvoll visualisiert. In dem besiedelten, jedoch menschenleeren Teil der Stadt prägen For Sale-Schilder das Stadtbild. Und dennoch verströmt die Arbeit Land of the Sun (2015), die wie eine Mischung aus Imagefilm und Musikvideo wirkt, einen Hauch von Verlockung. Nicht zuletzt aufgrund eines sicheren Wasserreservoirs, das in Zeiten der wachsenden Klimakrise die Zukunft des Ortes verändern könnte, wie die Stimme eines Bewohners aus dem Off berichtet.
“With liberty and justice for all“ erklingt es aus Franz Reimers Arbeit Justice has been done (2014). Die Stimme Obamas versetzt uns in das Jahr 2011, in dem der Terrorist Osama bin Laden von Spezialeinheiten der US-amerikanischen Navy Seals ermordet wurde. Wir erkennen den sogenannten Situation Room des Weißen Hauses, oder besser gesagt das ikonisch gewordene Foto desselben, auf dem Mitglieder der US-Regierung mit Anspannung die Kommandoaktion verfolgen. Der Künstler hat diesen Raum als Modell nachgebaut und sich selber in ihm vervielfacht, die Positionen der abgebildeten Personen einnehmend. Er versucht in das medial aufgeladene, jedoch inhaltlich entleerte Bild einzutauchen, um das Wesen des Bildes zu ergründen. Reimer beschreibt Pete Souzas Foto als ein neuartiges Kriegsfoto – das zivilisierteste, das es jemals gegeben habe. Und dennoch wurde dieses Ereignis zum Symbol der Verteidigung der globalen Freiheit stilisiert.
Auch die Künstlerin Sarah Oh-Mock inszeniert sich selbst in ihrer Auseinandersetzung mit der Bild- und Wahrhaftigkeit der Welt. Kopien und Fassaden tauchen in Zwiefach / double / Áߺ¹ in mehrfacher Hinsicht auf: das Selfie, in dem der Körper zum Ort der Inszenierung und Fassade des Privaten wird; die südkoreanischen Nachbauten europäischer Wahrzeichen, vor denen die Künstlerin mit unbewegter Miene posiert; und die an sich realen Kulissen Venedigs, die schon zu Abziehbildern ihrer selbst geworden sind. Auf der einen Seite beobachten wir die Demokratisierung der Bildproduktion durch Internet und Social Media, auf der anderen Seite erzählen uns die endlosen Reproduktionen und Kopien von Kopien von einer Unfreiheit im Ausdruck, jenseits von Individualität. Jedoch: Ist die Verknüpfung von Freiheit und Individualität nicht nur ein westliches Konstrukt?
In Retinakollaps (2019) taucht der/die Betrachtende in eine verlangsamte Welt, voller Lichter und Farben in Blau- und Grüntönen. Die sphärische Soundebene verstärkt das Gefühl eines verführerischen Wachtraumes. Digitale Zeichen überlagern sich mit Gesichtern, Handydisplays mit verlangsamten Fingerbewegungen. Auch hier beleuchtet das Künstlerduo Leitner-Peter die Randgebiete unserer Entscheidungsfreiheit im digitalen Raum, in den wir soghaft durch nicht enden wollende Bilderfluten und elektrische Lichtwellen hineingezogen werden.
Die Filmcollage Little Lower than the Angels (2019) des Künstlerinnenkollektivs Neozoon setzt mit dem Licht des Mondes in Schumanns romantischem Lied Mondnacht ein und führt uns zur biblischen Schöpfungsgeschichte der Lichtwerdung. Auf YouTube geteilte Aufnahmen religiöser Predigten und Fernsehauftritte sind zu einer schrillen Sound- und Bildcollage zusammengeschnitten, welche die wahnhafte Überzeugung der Kreationismus-Vertreter*innen durch das Motiv der Wiederholung besonders eindrücklich vermittelt. Die Künstlerinnen schaffen ein zwar unterhaltsames, jedoch beunruhigendes Porträt der kollektiven Psyche einer sich von Gott zur Beherrschung der Welt berufen gefühlten Glaubensgemeinschaft. Ihr Glaube verleiht ihnen die trügerische Freiheit, sich über eine mit Freiheit einhergehende gesellschaftliche Verantwortung hinwegzuheben.
Anthropozentrismus und die Ausbeutung von Umwelt und Mitmenschen liegen auch den Arbeiten Tangible Extractions (2018) von Anne Haanings und Play as Animals (Animals in Traffic) (2019) von Thomas Hawrankes zugrunde. Immerhin ist es in der letzteren das vermeintlich unterlegene Tier, das das Tempo vorgibt und die ungeduldigen Autofahrer*innen in dem Computerspiel Grand Theft Auto V vorführt. Wir erahnen: Freiheit in einer Welt, die durch den Menschen zunehmend zerstört wird, kann es gar nicht geben.
Frei sein wie der Steppenläufer – die Pflanze, die in Clemens Wilhelms Arbeit When you change the way you look at things, the things you look at change (2017) vom Wind getragen durch die Landschaft Cuxhavens rollt – kommt vielleicht einer der ältesten Vorstellungen von Freiheit am nächsten: Freiheit durch Loslassen, durch Nicht-Festhalten an Dingen; stetig in Bewegung, jedoch ohne Ziel.
Dinge anhäufen, und zwar zielstrebig, das tun wiederum die Kinder und Jugendlichen in einem bescheidenen Vorort von Dublin in der gleichnamigen Arbeit Tallaght von Lilli Kuschel und Anna Fiedler. Und doch scheinen sie frei zu sein, frei von Regeln und Begrenzungen ihres Alltags. Wir beobachten sie, wie sie über Stunden hinweg Sperrmüll – Holzlatten, aber auch ganzes Mobiliar und Matratzen – in ihrer Nachbarschaft zusammentragen, teilweise mühsam über Mauern werfen oder durch Zäune stecken. Bei Dämmerung brennen sie die pyramidenhaft aufgetürmten Gegenstände fröhlich singend nieder. Scheinbar unbeobachtet von Erwachsenen versinkt die Gruppe junger Menschen in diesem urbanen Ritual und schafft einen Hort der Freiheit – aus sich selbst heraus, aus der Kreativität ihres Handelns.       

English version:

The exhibition Freedom’s just … shows selected video works by 9 artists and artist groups as installations in the space.

Exhibiting artists:
Anna Fiedler & Lilli Kuschel, Niklas Goldbach, Anne Haaning, Thomas Hawranke, Katrin Leitner & Walter Peter, NEOZOON, Sarah Oh-Mock, Franz Reimer and Clemens Wilhelm.

What is the meaning of freedom to you?
The concept of freedom is associated with very different ideas, depending on individual subjects, their origins, social structures and cultural spheres. The interpretation of liberalism of Western democracies promises a free life; however, when we look at the inequalities and injustices in our societies, this noble principle does not apply to everyone equally: appearance, gender, wealth and education determine the degree of self-determination and personal freedom.

No country has internalized this maxim more than the U.S., which to this day celebrates the „American Dream. It is not surprising that several of the nine selected video works in the exhibition Freedom’s just… are situated there. As late as the 1960s, the promise of unlimited possibilities in the American West drew people to the rugged Mojave Desert, on whose soil California City was founded – the third largest city in California, by area. What remains of the vision is primarily an immeasurable grid of streets in the desert landscape, which
Niklas Goldbach impressively visualizes by means of drone photographs. In the populated, yet deserted part of the city, ‚For Sale‘ signs dominate the cityscape. And yet the work Land of the Sun (2015), which feels like a cross between an image film and a music video, exudes an air of enticement. Not least because of a secure water reservoir that could change the future of the place in times of growing climate crisis, as the voice of a resident reports from offstage.
„With liberty and justice for all“ resounds from Franz Reimer’s work Justice has been done (2014). Obama’s voice transports us to the year 2011, when terrorist Osama bin Laden was murdered by special forces of the U.S. Navy Seals. We recognize the so-called Situation Room of the White House, or rather the iconic photo of it, where members of the US government watch the commando action with tension. The artist has recreated this room as a model and multiplied himself within it, taking the positions of the people depicted. He attempts to immerse himself in the image, which is charged with media but empty of content, in order to fathom the essence of the image. Reimer describes Pete Souza’s photograph as a new kind of war photograph – the most civilized there has ever been. And yet, this event has been stylized as a symbol of the defense of global freedom.
The film collage Little Lower than the Angels (2019) by the artist collective NEOZOON begins with the light of the moon in Schumann’s romantic song Mondnacht (Moon Night) and leads us to the biblical creation story of becoming light. Recordings of religious sermons and television appearances shared on YouTube are edited into a shrill sound and image collage that conveys the delusional conviction of creationism proponents particularly impressively through the motif of repetition. The artists create an entertaining but disturbing portrait of the collective psyche of a faith community that feels called by God to dominate the world. Their faith gives them the deceptive freedom to rise above a social responsibility that comes with freedom.
Anthropocentrism and the exploitation of the environment and fellow humans also underlie the works Tangible Extractions (2018) by Anne Haanings and Play as Animals (Animals in Traffic) (2019) by Thomas Hawrankes. After all, in the latter it is the supposedly inferior animal that sets the pace and demonstrates the impatient drivers* in the computer game Grand Theft Auto V. We sense: Freedom in a world that is increasingly being destroyed by man cannot exist.
To be free like the tumbleweed – the plant that rolls through the landscape of Cuxhaven carried by the wind in Clemens Wilhelm’s work When you change the way you look at things, the things you look at change (2017) – perhaps comes closest to one of the oldest ideas of freedom: freedom through letting go, through not holding on to things; constantly on the move, but without a goal.
Accumulating things, and doing so single-mindedly, is what the children and young people in a modest Dublin suburb in Lilli Kuschel and Anne Fiedler’s eponymous work Tallaght do in turn. And yet they seem to be free, free from the rules and limitations of their everyday lives. We observe them as they spend hours collecting bulky waste – wooden slats, but also whole pieces of furniture and mattresses – in their neighborhood, sometimes laboriously throwing it over walls or sticking it through fences. At dusk they burn down the pyramid-like piled up objects happily singing. Seemingly unobserved by adults, the group of young people sinks into this urban ritual and creates a haven of freedom – out of themselves, out of the creativity of their actions.          

Gefördert durch/funded by:

  

Fotos: Bettina Weiß