FRAGMENTS

© Annette Gödde, o.T., Fotocollage (Detail), 2024

Fragments
Heike Gallmeier, Annette Gödde

Eröffnung: 28. Februar 2025, 19 Uhr
Ausstellung: 01.03.  – 30.03.2025

 

English:

Fragments
Heike Gallmeier, Annette Gödde

Opening: 2025, February 28, 7 pm
Exhibition: 01.03.  – 30.03.2025

 

(English version below)

Manchmal wird erst im Blick auf ein Fragment, in einer Brechung oder durch einen Bruch deutlich, wie selbstverständlich man etwas als ganz, ungebrochen und unversehrt angenommen hat. Heike Gallmeier und Annette Gödde interessieren sich auf je eigene Art für Ausprägungen von und den Umgang mit Brüchen, seien es vorgefundene Brüche, seien es solche, die es erst herzustellen gilt. Die Ausstellung „fragments“ zeigt Arbeiten der beiden Künstlerinnen, die in den vergangenen Jahren immer wieder zusammen ausgestellt und gemeinsame Projekte realisiert haben.

In HEIKE GALLMEIERS Werk stehen Bildräume und deren Dekonstruktion und Rekonstruktion im Fokus. Bei der Darstellung kommen unterschiedliche Verfahren zur Anwendung. Häufig nützt die Künstlerin vorhandene Räume als Bildträger, um sie mithilfe von gefundenen Objekten, Mal- und Alltagsmaterialien zu verfremden und eine malerische Perspektive herzustellen, um Fragen nach Ebenen und Räumlichkeit, nach Ein- oder Mehrdimensionalität aufzuwerfen. In ihren inszenierten Fotografien fragt die Künstlerin zunächst nach Kohärenz und Konsistenz im Bereich des Sichtbaren. Doch in der Betrachtung übertragen sich diese Fragen auch auf solche der Raumauffassung, des Welt- und Selbstverständnisses.
Für ihre jüngste Arbeit hat Heike Gallmeier Fotografien ihres ehemaligen Elternhauses mit Mitteln der Collage bearbeitet. Es wurde im Rahmen von Bauarbeiten entkernt. Die ehemalige Abfolge der Räume ist zwar noch erkennbar, sie kann noch erfahren werden. Doch die ehemals vorhandenen Türen und Böden fehlen. Durch die Veränderungen in der schützenden Organisation des Raums, durch das Aufbrechen und die Zerstörung des Vertrauten, entsteht eine produktive Verunsicherung, wird das Erinnern zugleich aktiviert und irritiert.
Diese produktive Verunsicherung ruft Gallmeier auch auf im Umgang mit der kunstgeschichtlichen Überlieferung. „Vertigo 2“, eine Arbeit, die Arnold Böcklins Gemälde „Odysseus und Kalypso“ (1882) als Ausgangsmaterial nutzt, fordert zu einer Revision des Gemäldes ebenso auf wie „Überfahrt“, eine Arbeit, die sich ebenfalls auf ein Gemälde von Böcklin bezieht, auf dessen 1880 entstandene „Toteninsel“.
In der Serie „Dark Ride“ mit Fotografien aus einer stillgelegten Geisterbahn im Wiener Prater, wird der Verfall nicht über die willkürlich hergestellte Neukombination von Motiven sichtbar. Es sind die Figuren selbst, deren Material zu bröckeln beginnt. Ein reizvoller Kontrast von Zerfall und Konservierung im Bild stellt sich ein, zeigt die Geisterbahn in völlig ungewohnter Weise als einen Ort der inszenierten Angst.

ANNETTE GÖDDE arbeitet mit Fotografie, Video und Installation. Gesammelte Materialien, Objekte und Settings werden im Atelier abgelichtet, am Computer collagiert und in den Realraum übertragen. Diese Arbeiten sind immer ein Resultat digitaler Bearbeitung.
Im Gegensatz dazu erschafft Annette Gödde in ihren jüngsten Arbeiten reale Bildobjekte, die sie aus diversen Materialien zusammensetzt: Alte Papiere, Pappen, Offset-Zeitungspapier, Hochglanzpapier, Fotos, im Netz Gefundenes, Stiche aus dem 19. Jahrhundert, Fundstücke aus dem Archiv alter Arbeiten. Die Künstlerin hat all das zerschnitten, gerissen und neu verklebt, in Teilen abgerissen, wieder überklebt, bemalt, Einschnitte vorgenommen und überzeichnet.
In diesem Prozess sind Einzelstücke entstanden, bei denen das Digitale keine Rolle spielt. Göddes Art und Weise zu arbeiten hat sich verändert: An die Stelle der Berechnung durch den Apparat bzw. die Maschine treten nun Haptik, Spontaneität und Zufälle. Eine gewisse Lust am Zerstören hat das Ziel, Neues zu entdecken und herzustellen. Die Unumkehrbarkeit der Handlungen („Es gibt kein STRG-Z.“) erzeugt Wachheit und Spannung, die gegen Austauschbarkeit und Beliebigkeit stehen.
In ihrer Assoziativität fragen Annette Göddes Arbeiten nach der bildlichen Darstellung von Körpern und den Möglichkeiten einer Repräsentation von Schmerz. Erinnerungen daran und Vorahnungen werden in multiperspektivischen, absurden Bildräumen inszeniert. Die in den Arbeiten bewusst gewählte Überfülle von Formen und Farben erzeugt das Bedürfnis nach Ruhe und Leere, dem aber nicht stattgegeben wird. Die Bilder fordern, sich auf ein forschendes Sehen einzulassen um immer wieder formal oder inhaltlich neue Verbindungen, Strukturen und Brüche zu finden.

Text: Beate Tröger

English version:

Sometimes it is only when we look at a fragment, a refraction or a break that we realise how much we have taken something for granted as whole, unbroken and intact. Heike Gallmeier and Annette Gödde are each interested in their own way of recognising and dealing with fractures, whether they are found or ones that have yet to be created. The exhibition „fragments“ shows works by the two artists, who have repeatedly exhibited together and realised joint projects in recent years.

HEIKE GALLMEIER’s work focusses on pictorial spaces and their deconstruction and reconstruction. Various methods are used in the depiction. The artist often uses existing spaces as a medium to alienate them with the help of found objects, painting and everyday materials and to create a painterly perspective in order to raise questions about levels and spatiality, about one- or multi-dimensionality. In her staged photographs, the artist initially questions coherence and consistency in the realm of the visible. On closer look, however, these questions are also transferred to the perception of space, the understanding of the world and oneself.
For her most recent work, Heike Gallmeier has processed photographs of her former parental home using collage techniques. It was gutted as part of building work. Where walls once defined rooms, openings can now be seen; the former sequence of rooms is still recognisable, but can no longer be experienced. By changing the protective organisation of the space, by breaking open and destroying the familiar, a productive uncertainty is created, memory is simultaneously activated and irritated.
Gallmeier also invokes this productive uncertainty when dealing with art historical tradition. „Vertigo 2“, a work that uses Arnold Böcklin’s painting „Odysseus and Calypso“ (1882) as source material, calls for a revision of the painting, as does „Überfahrt“, a work that also refers to a painting by Böcklin, his „Toteninsel“ (Island of the Dead) from 1880.
In the „Dark Ride“ series with photographs from a disused ghost train in the Vienna Prater, decay is not visualised through the arbitrary recombination of motifs. It is the figures themselves whose material begins to crumble. A charming contrast of decay and preservation emerges in the picture, showing the ghost train in a completely unusual way as a place of staged fear.

ANNETTE GÖDDE works with photography, video and installation. Collected materials, objects and settings are photographed in the studio, collaged on the computer and transferred to the real space. These works are always the result of digital processing.
In contrast, in her most recent works Annette Gödde creates real pictorial objects, that are assembled from various materials: Old papers, cardboard, offset newsprint, glossy paper, photos, things found on the internet, engravings from the 19th century, found objects from her archive of old works. The artist has cut all this up, torn it and glued it together again, torn it off in parts, pasted it over again, painted it, made incisions and overdrawn it.
This process has resulted in unique pieces in which the digital plays no role. Gödde’s way of working has changed: Haptics, spontaneity and coincidences now take the place of calculation by the apparatus or machine. A certain pleasure in destruction has the aim of discovering and creating something new. The irreversibility of the actions („There is no CTRL-Z.“) generates alertness and tension, which stand in opposition to interchangeability and arbitrariness.
In their associativity, Annette Gödde’s works explore the visual representation of bodies and the possibilities of representing pain. Memories and premonitions are staged in multi-perspective, absurd pictorial spaces. The deliberately chosen overabundance of forms and colours in the works creates the need for calm and emptiness, but this is not satisfied. The pictures challenge the viewer to engage in exploratory viewing in order to find new connections, structures and breaks in form and content.

Text: Beate Tröger

Fotos: Annette Gödde