Neues Jahresthema 2023: Material

 

Jahrestthema:
MATERIAL

Ab Januar 2023


English:

Theme of the Year:
MATERIAL

From January 2023

 

 

 

(English version below)

Material: Der Stoff, aus dem unsere Zeit ist

Material hat etwas Archaisches. Ungeformt, roh und ungestaltet: Es scheint das zu sein, aus dem alles Leben entsteht und in das es wieder zurückkehrt. Ein ewiger Kreislauf, in dem sich der Stoff verändert, neue Formen, Farben und Gestalten annimmt, nie gleichbleibt und nicht vergeht. Welches Eigenleben hat Material, jenseits der Formen, die wir in ihm sehen? Gibt es überhaupt ungeformtes Material, das nur Materie ist, reines Werden und Vergehen?
Erst in Verbindung mit einer Form, so Aristoteles, wird die Materie zu einem Ding. Ihm zufolge wohnt jedem Material seine eigene Form inne, die freizulegen Aufgabe des Künstlers und der Künstlerin ist. Der Stein und das Holz geben vor, was aus ihnen geschnitzt, was aus ihnen gehobelt und gemeißelt werden soll. Die Form folgt dem Material. Aus dem Material entsteht die Welt der Kunst.
Heute entwickeln wir Materialien einfach neu, je nach Verwendungszusammenhang und setzen das vorhandene und technologisch hervorgebrachte Neue für unsere Zwecke ein. Das Material soll sich fügen: Tut es das nicht, wird es gebogen, erhitzt und so lange modifiziert, bis es in unserer Ordnung Sinn macht. Oder es wird entsorgt, in den Müll sortiert, ins Meer geworfen, tief unter der Erde vergraben oder in einem Sarkophag einbetoniert. Am besten für die Ewigkeit. Das Material der Welt wird zur Ressource, die wir ausschöpfen, ausbeuten, explorieren: Rohstoffe wie auch Tiere oder Menschen.
Doch nicht immer gelingt es, sich das Material gefügig zu machen. Material ist widerspenstig, widersinnig. Gedanken und Träume zum Beispiel sind Materialien, die ein Eigenleben haben, das uns überrascht und uns zu neuen Deutungen zwingen. Je nachdem wie man Dateien, Bilder oder Texte komponiert, gewinnt das schlicht Vorliegende nachträglich eine andere Bedeutung, offenbart eine neue Tiefe, eine neue Ebene, stiftet eine ungeahnte Verbindung. Material birgt immer eine eigene Geschichte. Es ist archivierte Zeit, sedimentierte Entwicklung und geschichtete Bedeutung. Jeder neue Zugriff auf das Material bringt etwas Anderes hervor.

Text: Anna Krewani

English version: 

Material: The Stuff Our Time is Made of

There is something archaic about material. Unformed, raw and unshaped: It seems to be that from which all life emerges and into which it returns. An eternal cycle in which the material changes, takes on new forms, colors and shapes, never remains the same and never perishes. What life of its own does material have, beyond the forms we see in it? Is there any unformed material at all, which is only matter, pure becoming and passing away?
Only in connection with a form, according to Aristotle, matter becomes a thing. According to him, every material has its own inherent form, which is the task of the artist to uncover. The stone and the wood dictate what is to be carved from them, what is to be planed and chiseled from them. The form follows the material. The world of art emerges from the material.
Today we simply redevelop materials, depending on the context of use, and use the existing and technologically produced new for our purposes. The material is supposed to fit: If it does not, it is bent, heated and modified until it makes sense in our order. Or it is disposed of, sorted into the garbage, thrown into the sea, buried deep underground or cemented into a sarcophagus. Preferably for eternity. The material of the world becomes a resource that we exhaust, exploit, explore: Raw materials as well as animals or people.
But we do not always succeed in making the material compliant. Material is unruly, contradictory. Thoughts and dreams, for example, are materials that have a life of their own, that surprise us and force us to new interpretations. Depending on how one composes files, images or texts, what is simply present subsequently gains a different meaning, reveals a new depth, a new level, creates an unexpected connection. Material always holds its own history. It is archived time, sedimented development and layered meaning. Each new access to the material brings forth something different.

Text by Anna Krewani, translated by deepl