Facades
Facades
Liesbeth Bos, Matthias Stuchtey, Liesbeth van Woerden
Eröffnung: 01. März 2024, 19 Uhr
Ausstellung: 02.03. – 13.04.2024
English:
Facades
Liesbeth Bos, Matthias Stuchtey, Liesbeth van Woerden
Opening: 2024, March 1st, 7 pm
Exhibition: 02.03. – 13.04.2024
(English version below:)
Habitate sind fragile Lebensräume. In der von Liesbeth van Woerden kuratierten Ausstellung liegt der Fokus auf Orten, die für den menschlichen Aufenthalt bestimmt sind: die städtische Umgebung, die unmittelbare physische Umgebung, in der wir leben.
„Städte bestehen wie Träume aus Wünschen und Ängsten, auch wenn der rote Faden ihres Diskurses geheim ist, ihre Regeln absurd sind, ihre Perspektiven trügerisch und alles etwas anderes verbirgt.“
Italo Calvino, Unsichtbare Städte, 1972
Basierend auf Calvinos Textfragment wurde ‚FACADES‘ als Titel für die Ausstellung bei SCOTTY gewählt. Fassaden prägen das urbane Umfeld. Sie fungieren als Gesichter der Stadt.
Was verbergen die Fassaden?
Verdecken die Fassaden unseren Blick?
Bieten die Fassaden uns einen Raum außerhalb der Sichtweite?
Können wir existieren, ohne eine Fassade zu haben?
Die drei teilnehmenden Künstler:innen untersuchen das Konzept der „Fassaden“ jeweils aus einer anderen Perspektive. Auch die Arbeitsweisen, Materialien und Techniken unterscheiden sich, was zu einer vielschichtigen Ausstellung führt. Der Sinn: Künstlerische Visionen und Aussagen prallen aufeinander, reiben sich, verstärken sich gegenseitig, treten in einen Dialog.
Liesbeth van Woerden:
Städte verwirren van Woerden; ihre Größe, ihre Glätte, Fassaden, die verbergen, was wirklich vor sich geht. Im städtischen Umfeld ist vieles ungreifbar, unsichtbar und befremdlich. Ist es möglich, diesem Lebensraum zu widerstehen?
Städte ziehen van Woerden an: die Fülle menschlicher Spuren. Artefakte, die benutzt, weggeworfen, vernachlässigt oder verloren wurden. Kann man aus dieser zivilen Informationsflut Schlüsse ziehen? Was verraten die Details im Außenbereich über das, was im Inneren passiert?
Van Woerden sammelt lose Rückstände und verwendet sie als „Rohmaterial“. Die Stadt dient als Forschungsfeld, ein urbaner Spielplatz. In ihrem Atelier schafft v.W. ihre Kunstwerke, indem sie isoliert, vergrößert, reduziert, kombiniert, arrangiert und/oder eliminiert. Bis zu einem Punkt, an dem sich Perspektiven ergeben: Vertrautes und Befremdliches, Lustiges und Verstörendes, Sichtbares und Unsichtbares. Sedimente von verblasstem Ehrgeiz und menschlichem Unvermögen.
“Isolation“ ist eine Serie von Triptychen, die sich mit unseren Annahmen über das, was sich hinter Fassaden verbirgt, auseinandersetzen.
Die Installationen, Aktionen, Videos, Fotografien und Objekte von Liesbeth van Woerden entstehen aus ihrer Faszination für das Alltägliche. Der Alltag mit seiner unerträglichen Routine und seinen beruhigenden Ritualen ist eine Quelle der Langeweile und fasziniert zugleich. Der Alltag als etwas, an dem man sich in einer globalisierten Welt festhalten kann, aber auch als einschränkende und körperliche Last. Ein Alltag, der immer mehr von den allgegenwärtigen (neuen) Medien infiltriert wird.
Das Alltägliche ist immer, überall und für jeden da, niemand kann sich ihm entziehen.
Van Woerden versucht, die Geheimnisse des Alltäglichen einzufangen, um „eine Verklärung des Alltäglichen“ zu erreichen.
Banale Dinge, Handlungen, Fragen, Stimmungen auf einer Mikroebene und alltäglicher Input auf der Makroebene werden kombiniert, vermischt und untersucht. Repräsentation, Wahrnehmung und Bedeutung werden unter Druck gesetzt.
Die Arbeiten werden in Projekträumen, Galerien und im öffentlichen Raum gezeigt. Materialien und Techniken sind nicht festgelegt, sondern werden nach ihrer Funktionalität für ein bestimmtes Kunstwerk ausgewählt.
Liesbeth Bos:
Das Kunstprojekt Panta Rei ist eine Untersuchung über den nie endenden Wandel in einer Stadt.
Wie der griechische Philosoph Heraklit, der von der Einheit der gegensätzlichen Teile sprach. Er meinte, dass nichts in unserer Welt gleich bleibt. Mit anderen Worten: Man streitet nicht mit jemandem, der sagt, die Flasche sei halb voll, während man selbst meint, sie sei halb leer.
Die Dinge erscheinen auf ganz unterschiedliche Weise, sie sind zufällig in der Zeit und verschwinden schließlich. Das gilt nicht nur für uns, sondern auch für alle Dinge im Universum und vielleicht für das Universum selbst. Alle Dinge, an die wir denken, sind in Wirklichkeit instabile Objekte, die sich ständig weiterentwickeln. Heraklit verglich sie mit Flammen, die wie Gegenstände aussehen, aber in Wirklichkeit ein Prozess sind. Heraklit widersprach dem beruhigenden Gedanken, dass die Dinge stabil und dauerhaft sind. Das Leben selbst und das Universum hören nie auf, sich zu verändern. Dieses Gesetz der Veränderung herrscht überall. Man kann ihm nicht entkommen.
Zurück zum Kunstprojekt Panta Rei: Eine Stadt ist eine Kette von Gebäuden, alle unterschiedlich in Form, Design und Größe. Jedes Gebäude hat seinen eigenen Zweck. Eine Stadt am Laufen zu halten, ist eine komplexe Angelegenheit, ein ständiger Prozess. Ein Gebäude, das einmal für einen bestimmten Zweck gebaut wurde, wird anders genutzt, wenn der nächste Eigentümer einzieht.
In der Stadt gibt es ständig Bauprojekte. Sie scheinen verbindliche Glieder der realen Entwicklung einer Stadt zu sein. Gleichzeitig werden die Bauarbeiten durch bunte Baukleider vor uns verborgen. So wird Heraklits unausweichliches Gesetz visualisiert, indem eine Bestandsaufnahme gemacht wird und Baustellen gezeigt werden, die durch das bunte Tuch verborgen sind.
Liesbeth Bos produziert fragmentarische Installationen, die Strukturen und aktuelle Fragen der Gesellschaft in einer ständigen Suche nach dem Gleichgewicht offenlegen.
Ihre Motivation ist es, ein Gleichgewicht zwischen der fragmentarischen und impulsiven Welt auf der einen Seite und Momenten der Reflexion und Schönheit auf der anderen Seite zu finden. Je mehr man nach den Extremen sucht, desto größer ist die Gefahr, das Gleichgewicht zu verlieren; aber gleichzeitig spürt man intensiver, dass man existiert, dass man das, was man tut, mit Herz und Seele tun kann.
In ihrem künstlerischen Prozess legt Liesbeth Bos die tieferen Strukturen des ursprünglichen Bildes frei. Extreme werden miteinander verbunden, das Einfache und das Komplexe, das Abstrakte und das Konkrete. Auf den ersten Blick sind es Variationen eines Themas, aber jedes aufeinander folgende Werk dringt tiefer in das Wesen der Frage ein, führt automatisch zur nächsten Frage und versucht, sie zu beantworten. Es entsteht ein Ganzes, eine neue Wirklichkeit, in der sich das Konkrete und das Poetische in einem eigenen Gleichgewicht begegnen.
Matthias Stuchtey:
Die Werke von Matthias Stuchtey überraschen durch ihre auffällige, eigenwillige Gestaltung. Er macht das Schwere leicht, bindet Leichtes zu blockhaften Arrangements und verblüfft durch Unverwechselbarkeit. Stuchtey arbeitet oft mit Fundmaterialien oder Möbelresten, deren Teile er auseinanderbaut, umarrangiert und dann neu zusammensetzt. Materialinteressiertheit und Materialkenntnis erlauben es ihm dabei, Werke von wohltuender Lebendigkeit und entlarvender Einfachheit zu schaffen.Neugier und Spielverhalten umkreisen das, was sich hinter der Oberfläche der Dinge befindet. Das Auseinandernehmen und Zueinanderkommen der Einzelteile begleitet den Prozess des künstlerischen Zusichselbstkommens. Die Verbindungen der Elemente, die Cluster-Bildungen teilen uns etwas mit über die Verbindung zwischen Raum und menschlichen Lebensverhältnissen. In seiner Arbeit reflektiert Stuchtey das Verhältnis von Behausung, Unbehaustheit und Heimatlosigkeit, von Verunsicherung aufgrund des Verlusts von Gewissheiten, aber auch vom Lebensgefühl der Leere als Wohlstandsphänomen. Dem stellen sich seine mannigfaltigen Formagglomerationen in einer Art Suchbewegung entgegen.
Die Nachfragen nach dem Verhältnis von Kunstwerk, Baukörper und Lebenssinn orientieren insofern auf das Architektonische als Erweiterung des Selbst. Stuchtey bietet etwas an, das in dieser Kombination in der Bildenden Kunst zunehmend selten anzutreffen ist: Das Verständnis von Architektur als einem komplexen Bild von Körperlichkeit. Der Stoff der rekapitulierten und projizierten Existenz als Teil und Ganzes, Innen und Außen, Geöffnetes und Abgeschlossenes, Heiteres und Tragisches ist für ihn das einzig greifbare und deshalb unangreifbare Material, das es in dieser Welt gibt.
(Christoph Tannert)
English version:
Habitats are fragile living spaces. In the show Liesbeth van Woerden is curating she wants to focus on places intended for human residence: the urban environment, the immediate physical environment we live in.
“Cities, like dreams, are made of desires and fears, even if the thread of their discourse is secret, their rules are absurd, their perspectives deceitful, and everything conceals something else.” Italo Calvino, Invisible Cities, 1972
Based on Calvino’s text fragment FACADES is chosen as title for the exhibition at SCOTTY. Facades characterize urban environments. They act as faces of the city.
What do the facades conceal?
Do the facades obscure our view?
Do facades offer us room out of sight?
Can we exist without having a facade?
The three participating artists each explore the concept of ‚Facades‘ from a different perspective. Working methods, materials and techniques also differ, which will result in a layered, versatile exhibition. The purpose of this: artistic visions and statements collide, rub off, reinforce each other, enter into a dialogue.
Liesbeth van Woerden:
Cities confuse Van Woerden; Their size, their smoothness, facades that conceal what is really going on. In urban environments a lot is intangible, invisible and alienating. Is it possible to withstand this habitat?
Cities attract Van Woerden; The abundance of human traces. Artifacts that have been used, thrown away, neglected or lost. Can one draw conclusions from this civic information overload? What do outdoor details reveal about what happens inside.
Van Woerden collects loose residues and uses them as ‚raw materials‘. The city serves as a research field, an urban playground. In her studio v.W. creates her artworks by isolating, enlarging, reducing, combining, arranging and/or eliminating. Up to a point where prospects emerge: Familiar and alienating, funny and disturbing, visible and invisible. Sediments of faded ambition and human inability.
‘Isolation’ is a series of triptychs which deal with our assumptions on what is hidden behind facades.
The installations, actions, videos, photographs and objects by Liesbeth van Woerden arise from her fascination for the commonplace. Everyday life is a source of boredom but intriguing at the same time, with its unbearable routine and its reassuring rituals. Everyday life as something to hold on to in a globalizing world, but also as a restrictive and physical burden. A commonplace which gets more and more infiltrated by ever present (new) media.
The commonplace is always there, everywhere and for everyone; no one can escape.
Van Woerden tries to catch the mysteries of the commonplace in order accomplish ‘A Transfiguration of the Commonplace’.
Banal things, actions, questions, moods on a micro-level and everyday macro-level input are combined, mixed and investigated. Representation, perception and meaning are put under pressure.
The works are shown in project spaces, galleries and in public domain.
Materials and techniques are not fixed, but selected by their functionality in a specific artwork.
Liesbeth Bos:
The art-project Panta Rei is a research about the never ending change in a city.
Like Heraclitus, an ancient Greek philosopher, talked about uninity of opposite parts. He thought nothing in our world stays the same. In other words you don’t argue with someone who tells you the bottle is half full while you think it is half empty.
Things appear in all different ways, they chance in time and eventually disappear. This counts not only for us, but also for all things in universe and maybe for universe itself. All things we think about are in fact instable objects, constantly developing. Heraclitus compared them with flames, they look like objects, but in reality are a process. Heraclitus contradicted the comforting thought that things are stable and permanent. Life itself and the universe never stop changing. This law of change reigns everywhere. You can’t escape.
Back to the art-project Panta Rei: A city is a chain of buildings, all different in shape, design and size. Every building has its own purpose. To keep a city up and running is a complex business, an ever on-going process. A building once built for a special purpose, will be used differently when the next owner moves in.
There are always building-projects going on in the city. They seem binding links in the real development of a city. At the same time the building work is hidden from us by colourful building clothes. So Heraciltes inescapable law is visualized by making an inventory of and showing building sites hidden by the colourful cloth.
Liesbeth Bos produces fragmentary installations which reveal structures and current questions on society in a continuous search for balance.
Her motivation is to find a balance between the fragmentary and impulsive world on the one hand and moments of reflection and beauty on the other. The more you look for extremes, the greater the danger of losing your balance; but at the same time you feel more intensely that you exist, that you can do what you do with heart and soul.
In her artistic process Liesbeth Bos reveals the deeper structures of the original image. Extremes are connected, the plain and the complex, the abstract and the concrete. Seen at a glance, variations on a theme, but each successive works penetrates deeper into the essence of the question, automatically leads to the next question and tries to answer it. A whole is created, a new reality, in which the concrete and the poetic meet each other in a balance of their own.
Matthias Stuchtey:
The works of Matthias Stuchtey surprise with their conspicuous, idiosyncratic design. He makes the heavy light, combines what is light in block-like arrangements, and astonishes with his unmistakability.
He often works with found materials or furniture leftovers whose parts he disassembles, rearranges, and then recombines anew. Interest in and knowledge of materials enables him to create works of a refreshing liveliness and unmasking simplicity.
Curiosity and playful behavior circle what is beneath the surface of the things. The disassembly and rapprochement of the individual parts accompanies the process of artistic coming-to-oneself. The connections among the components, the cluster formations, convey to us something about the connection between space and human living conditions. As symbiotic as the relationship between artist and work of art seems to be, that’s how alienated the relationship is between the person and his surroundings. That’s why Stuchtey reflects on the relationship between housing, homelessness, and lack of a homeland, the insecurity due to the loss of certainties, but also the feeling of emptiness as a phenomenon accompanying affluence. His manifold form agglomerations counter this in a kind of searching motion.
The questions about the relationship between work of art, construction, and life purpose thus orient themselves toward the architectonic as an expansion of the self. Stuchtey offers something that is less and less frequently found in this combination in the visual arts: an understanding of architecture as a complex picture of corporeality. For him, the material of the recapitulated and projected existence as part and whole, interior and exterior, opened and closed, cheerful and tragic is the sole graspable and therefore unassailable material that there is in this world.
(Christoph Tannert)